Argentinisches Märchen

Die Menschen und die Kaninchen

Man erzählt sich: Da waren einmal ein Mann und eine Frau, die waren beide sehr habgierig. Sie wollten gern reich werden, und sie überlegten, wie sie es anstellen müssten, um das möglichst schnell zu erreichen.
Erst wollten sie eine Rinderzucht machen, aber da sagte man ihnen, dass dies eine schwere und mühsame Arbeit sei, und dass man viele Jahre brauche, um damit ein Vermögen ansammeln zu können.
Dann wollten sie eine Schafzucht aufziehen. Aber man sagte ihnen, dass sie da Knechte bräuchten, und sie hatten Angst, dass man ihnen heimlich Schafe stehlen könnte.
So kamen sie endlich darauf, Kaninchenfleisch zu verkaufen, denn es schien ihnen eine geringe Mühe und ein schneller Verdienst. Aber immer wieder entliefen ihnen viele Kaninchen, und das Geschäft entwickelte sich nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatten.
Da sagte der Mann: «Wir müssten uns eine kleine Insel kaufen oder pachten, denn da können uns die Kaninchen nicht entkommen. Wir können zusehen, wie sie sich vermehren, und dann sie einfangen, schlachten und das Fleisch verkaufen.» Die Frau war damit einverstanden. Nun, sie hatten Glück und fanden eine grasbewachsene Insel, wie sie für ihre Zwecke geeignet war.
Auf der Insel angekommen, verabschiedete sich der Bootsmann und fragte, wann er wiederkommen solle.
Die Frau sagte: «Kommt nächstes Jahr dann und dann, um das Fleisch abzuholen.» Aber ihr Mann sagte: «Nein, das ist zu früh. Was dann an Fleisch anfälIt bringt zu wenig Gewinn, wenn man erst die Transportkosten abrechnet. Kommt erst in drei Jahren! Dann wird es sich lohnen.»
Nun, der Fischer versprach, in drei Jahren wiederzukommen. Zunächst erging es dem Mann und der Frau recht gut. Sie hatten sich ein kleines Feld angelegt, schlachteten hin und wieder ein Kaninchen, und lebten nicht schlecht.
Jedoch die Kaninchen vermehrten sich sehr schnell und verstreuten sich über die ganze Insel, und es dauerte nicht lange, da gab es so viele Kaninchen, dass sie das ganze Gras abgefressen hatten. Der Mann und die Frau waren darüber entsetzt, und versuchten, die Kaninchen auseinander zu treiben. Dabei stolperte die Frau, stürzte zu Boden, und da warfen sich die Kaninchen über sie und bissen sie zu Tode.
Als der Mann das sah, flüchtete er, von den Kaninchen verfolgt, in seine Hütte, und als ihn die Tiere auch dorthin verfolgten, stieg er auf das Dach. Was dann weiter gewesen ist, weiss man nicht genau.  Als der Fischer zur ausbedungenen Zeit erschien, kamen auf sein Rufen weder Mann noch Frau, und er sah, dass die ganze Insel von Kaninchen wimmelte.
So hat die Habgier ihre Opfer geholt. Das ist alles, Herr.

Parabla 2020-02
Quelle: Märchen aus Argentinien, rororo-Verlag (Reihe Diederichs Märchen der Weltliteratur)