Japanisches Märchen

Fuji und Tsukuba

Einmal stieg die erhabene himmlische Ahngottheit vom Himmel herab und durchwanderte, die Wohnplätze anderer Gottheiten besuchend, das Land. Auf ihrer Wanderung kam sie auch zum Berge Fuji im Lande Suruga. Da es bereits Abend geworden war, beschloss sie, um ein Nachtquartier zu bitten. Die Gottheit des Fuji sprach höhnisch: «Heute feiern wir das Fest des Kostens des ersten jungen Reises und wir haben daher das Haus gereinigt, wie könnte ich da deine Bitte erfüllen?» Damit schlug sie die Türe zu. Der göttlichen Ahngottheit traten die Tränen des Zornes in die Augen und sie stiess die Verwünschung aus: «Nun, ich bin deine Ahngottheit! Du wünschst mich also nicht zu beherbergen. So soll der Berg, auf dem du haust, von nun ab bis in ewige Zeiten sowohl im Sommer als auch im Winter beständig von Schnee und Frost heimgesucht werden, und es soll so kalt bleiben, dass niemand seinen Gipfel besteigt und Opfergaben darbringt!» Mit diesen Worten verwünschte sie den ungastlichen Berg und zog weiter bis zum Berge Tsukuba im Lande Hitachi. Auch dort bat sie um ein Nachtlager. Der Gott des Tsukuba empfing sie mit grosser Freundlichkeit: «Zwar feiern wir gerade heute Nacht das Fest des Kostens des ersten Reises, aber trotzdem wollen wir dich bei uns beherbergen.» Damit bewirtete er sie gastlich und erwies ihr alle Ehren. Erfreut darüber sang die himmlische Ahngottheit:

«Liebenswert ist er, mein Nachkomme!
Hochherrlich sei sein Schrein!
Himmel und Erde, Sonne und Mond
gleich ewig
mögen die Menschen ihn ehren,
reich die Opfergaben fliessen-
ohne aufzuhören über Generationen
von Tag zu Tag blühender,
für alle Zeiten Freude ohne Ende.»

Seit jener Zeit ist der Gipfel des Fuji von ewigem Schnee bedeckt, und die Menschen können ihn nur schwer ersteigen. Aber auf dem Gipfel des Tsukuba feiert man bis auf  heute ohne Unterlass bei Gesang, Tanz und Trank.

Horst Hammitzsch (Hrsg.): Japanische Volksmärchen. Diederichs Verlag 1962.
Parabla 2017-01