Schweizer Märchen

Das Fröschlein mit dem roten Halsband

Es war einmal eine arme, bucklige Frau, die immerzu kränkelte. Sie hatte niemanden ausser einem Sohn, der gerne in die Schule gegangen wäre. Aber der Schullehrer, ein guter Mann, sagte zu ihr: „Was wollt Ihr denn ohne den Buben machen? Er muss doch das Brot für Euch verdienen.“

Sie hatten eine kleine Hütte nahe bei einem Wald, mit einem Bächlein gleich daneben. Der arme Bub ging jeden Tag in den Wald und sammelte Holz, um seine Mutter zu unterstützen. Das Astholz und Reisig brachte er heim, und das schöne Holz verkaufte er. Dann ging er immer zum Bach und fing schöne Fische, die er in der Stadt verkaufte. Jeden Morgen, wenn er in den Wald kam, sass da ein hübsches, zierliches Fröschlein mit einem roten Halsband. Das machte ihm sehr schöne Augen und hüpfte um ihn herum, bis er mit dem Holzsammeln fertig war. Wenn er dann zum Bach fischen ging, war das Fröschlein wieder da, tauchte ins Wasser und hüpfte und sprang hin und her vor Freude und Vergnügen.

war das Fröschlein wieder da, tauchte ins Wasser und hüpfte und sprang hin und her vor Freude und Vergnügen.

Aber eines schönen Tages, was sah er da, als er zum Bach fischen ging? Hinter einer Ginsterhecke erblickte er das zitternde Fröschlein und einen riesigen Vogel mit langen Beinen und einem langen Schnabel. Der Bub hob schnell das Fröschlein auf, steckte es unters Hemd und trug es heim. Als seine Mutter das sah, sagte sie: „Was fällt dir denn ein, diesen Frosch zu bringen, wo es doch überall so viele davon gibt?“

„O Mutter, glaub mir, dieser hier ist ganz anders als die andern.“ Und er erzählte ihr, wie ihm das Fröschlein jeden Tag nachgelaufen war, zuerst in den Wald und dann zum Bach.

„Also gut,“ sagte sie, „dann behalten wir es. Trag es in den Garten und kümmere dich darum.“

Am selben Nachmittag stöberte die Mutter in einer alten Truhe, in der sie ihre Stoffresten aufbewahrte. Darin fand sie eine Börse mit Silbertalern. Ganz verwundert zeigte sie sie ihrem Sohn und meinte, dass sie sich nicht denken könne, wie diese Geldstücke in die Truhe gekommen seien. Nach vielen Überlegungen sagte sie zu ihrem Sohn: „Bei Gott, ich glaub wohl, dass dieses Geld uns gehört, wir haben es ja nicht gestohlen. Und nun habe ich mir gedacht, dass du die Hälfte nehmen sollst, damit du in der Stadt Schulen besuchen und etwas lernen kannst.“

So machte er sich also auf nach Frankreich. Seine Mutter kümmerte sich inzwischen um das Fröschlein. Wenn sie zu Mittag und zu Abend ass, setzte sich das Fröschlein immer neben sie auf den ledernen Stuhl. Als der Sohn kein Geld mehr hatte, sandte er seiner Mutter Nachricht, dass er wieder heimkommen werde und eines schönen Morgens war er da. Das Fröschlein begann herumzuhüpfen wie ein Närrlein vor lauter Freude, dass es ihn wiedersah.

Eines Tages erhielten sie einen Brief aus der Stadt, in dem stand, dass sie eine Erbschaft gemacht hatten und das Geld abholen sollten. Dabei wussten sie um nichts auf der Welt, woher ihnen diese Erbschaft zugefallen sein könnte. Die Mutter sagte: „Dieses kleine Fröschlein hat uns Glück gebracht, dessen bin ich mir gewiss.“Als sie die Erbschaft abgeholt hatten, sagte der Sohn zu seine Mutter: „Ich möchte gern auch Deutsch sprechen können. Wenn es dir recht wäre, dann würde ich mich aufmachen, es zu erlernen.“ – „Gut, gut“, sagte sie zu ihm, „es ist schon recht so, wie du es wünschst. Ich bin’s zufrieden.“

Er ging also wieder fort, aber schrieb immer viele Briefe aus der Fremde an seine Mutter. Man hätte schwören können, dass das Fröschlein die Tage wusste, an denen er schrieb, so sehr hüpfte, so sehr tanzte und freute es sich jedes Mal, bevor ein Brief kam.

Eines schönen Tages aber kam er selbst. „Gott grüss Euch, Mutter“, sagte er, „diesmal will ich Euch nicht mehr verlassen. Mit Hilfe meiner Kenntnisse werde ich jetzt genug Geld verdienen können, damit Ihr’s schön habt in Euren alten Tagen.“Die Mutter sagte ganz glücklich: „Jetzt werde ich eine gute Suppe und ein gutes Mahl bereiten, weil du wieder da bist.“ Sie deckte den Tisch in der Stube und vergass nicht, den Stuhl für das Fröschlein bereitzustellen. Während das Fröschlein seine Suppe austrank, verwandelte es sich in das schönste Mädchen auf der Welt. Man hätte keine Schönere malen können. Sie sprach zu dem jungen Mann: „Ich war die Froschkönigin und habe wohl bemerkt, dass du ein gutes, braves Kind warst, vor allem, wie gut du deine Mutter behandelt hast. Deshalb frage ich dich jetzt, ob du mich heiraten willst.“

Ihr könnt euch vorstellen, wie verwundert er war. „Ich weiss kaum, was ich sagen soll, ich würde Euch ja gerne heiraten“, erwiderte er, „aber all das Geld, das wir besassen, haben wir für mein Studium aufgewendet.“ – „Oh, wenn’s nur das ist!“ sagte sie, „ich bin reich genug.“

Also beschlossen sie zu heiraten. Der Tag der Hochzeit war gekommen und sie feierten im Dorf die Brautmesse. Als sie nach Hause kamen, da stand aber an der Stelle der Hütte ein schönes Schloss mit einer Schar von Dienern, die kamen und gingen und liefen von der Küche in den Saal und vom Saal in die Küche, um das Mahl herzurichten und aufzutragen. Das arme, alte Mütterchen war fein in Seide und Spitzen gekleidet. Drei Tage lang wurde gefeiert, gegessen und getrunken.

 

Arthur Rossat: Les „fôles“, contes fantastiques patois recueillis dans le Jura bernois. Schweizerisches Archiv für Volkskunde, Band 18 (1914)